Meine sehr vereehrten Damen und Herren,
Nicole Eisenberg sagt, dass sie sich immer von Bewegung angezogen gefühlt habe. Und von dieser Bewegung ist bislang reichlich in ihrem Leben gewesen. Vor 70 Jahren in Paris geboren, studierte sie zunächst angewandte Kunst an der École Duperée in Paris, woran sich Studien zur alten chinesischen Kunst und der freien Kunst im Atelier La Grande Chaumière anschlossen, was übersetzt in etwa bedeutet Atelier - große kleine Strohhütte, weswegen wir doch lieber beim Originalnamen bleiben. Ihre Studien hat Nicole Eisenberg mitte der 60er Jahre in der Meisterklasse von Prof. Jean Deyrolle an der Münchener Kunstakademie abgeschlossen.
Den wechselnden Einsatztätigkeiten ihres Mannes im internationalen Dienst des Goethe-Instituts folgend lebte die Künstlerin fortan in Lyon, Göttingen, Buenos Aires, Iserlohn, Córdoba, Paris und München. All die unterschiedlichen Kulturen, Mentalitäten und Landschaften haben tiefe Spuren im Bewusstsein hinterlassen und die künstlerische Ausrichtung Nicole Eisenbergs maßgeblich beeinflusst. Sie selber spricht von den inneren Landschaften, die sich in ihren Werken manifestieren, und unmittelbarer Ausdruck all der unterschiedlichen Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen sind.
Caspar David Friedrich, dessen Malerei keine Landschaftsansichten zeigt, sondern Bilder angesichts der Landschaft, hat das berühmte Postulat aufgestellt: Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es rückwirke auf andere von außen nach innen, oder Goethe: Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten.
In diesen kunst- und erkenntnistheoretisch bedeutsamen Zitaten ist das künstlerische Bild definiert als eine Verschmelzung von Innen und Außen, als Schnittpunkt von Wahrnehmung und Vorstellung, von Objektivierbarem und Subjektivem. Die intuitive Erfahrung dieser Einheit ist die Grundlage der Malerei, egal ob sie nun abstrakt oder figurativ daherkommt.
Nicole Eisenberg hat ihre künstlerischen Wurzeln natürlich in der großen abstrakten Nachkriegsbewegung, die noch zur Zeit ihrer Ausbildung vorherrschte. Ebenso spürt man aber auch den Einfluss der asiatischen Kunst. Bewegung und Naturerleben in lyrische Abbreviaturen zu übertragen hat nirgends eine größere Tradition. Asymmetrie, Schlichtheit, schmucklose Erhabenheit, Natürlichkeit, Selbstverständlichkeit, abgründige Tiefe, Losgelöstheit, Unweltlichkeit, Stille, innere Ruhe und Ausgeglichenheit sind nicht nur wesentliche Qualitäten der Kunst des Zen, es sind ebenso Qualitäten, die das Wesen der abstrakten westlichen Kunst geprägt haben.
Die meist auf Grau, Schwarz und Weiß reduzierten Bilder und Objekte von Nicole Eisenberg brechen Ordnungen, stellen Gewissheiten in Frage, experimentieren mit Formen und Materialien, ordnen neu und finden doch immer überzeugende grafische Lösungen. Gerade in den kleinen Arbeiten, die einen besonderen Schwerpunkt in der Ausstellung erhalten haben zeigt sich die ganze gestalterische Kraft der Künstlerin.
Als wir die Ausstellung planten, gab es immer diese Idee der Retrospektive. Die Ausstellung vereinigt zwar viele Arbeiten, die über einen langen Zeitraum entstanden sind, angefangen von den frühen Malereien, aber allzu Retro sollte es dann auch nicht zugehen, weil Nicole Eisenberg gerade in ihrer jüngsten Werkphase, bei denen Sie sich farbigen Celluphans bedient, der ursprünglichen Idee von Bewegung wieder ein großes Stück näher gekommen ist. Die elektrostatische Aufladung der Plexiglasflächen in den Objektrahmen, sorgt für eine ständige Veränderung des Bildes. Die tastende, konstruktive Suche nach einfachen, in ihrer Wirkung aber umso kräftigeren und nachhaltigeren Bildern, Metaphern und Symbolen, die eine positive Energie in sich tragen, hat hier einen ganz neuen Impuls erhalten, der weitere Experimente nach sich ziehen wird. Hinzu kommen winzige Zeichnungen auf Folie als neues Formenalphabet. Wozu sollte man also allzu lange über Retrospektive nachdenken.
Die Frage nach dem Einen und dem Vielen ist das große Thema der abendländischen Kunst. Die Kunst hat diese Suche längst zugunsten wirklicher Pluralität entschieden. Diese Pluralität in einem einzigen Werk zur Ganzheit aufzuheben ist allerdings der große Traum jeden Künstlers, dem Rätsel Leben, dem Ich und der Welt; ein gültiges Werk gegenüberzustellen, das einen eigenen Kosmos begründet. Genau an diesem Punkt ereignet sich nämlich Kunst. Tatsächlich aber wäre, und das weiß die Kunst nur zu genau, eine verstandene Welt eine todlangweilige.
Der menschliche Geist braucht Rätsel ebenso wie Lösungen, das Chaos ebenso wie die Ordnung. Diese Worte aus der Feder Friedrich Dürrenmatts sind ein treffliches Statement für die menschliche Kultur im Allgemeinen und die Bildende Kunst im Besonderen. Nicole Eisenberg hat sich ihre Neugierde bewahrt, bewahren Sie sich die Ihre. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß mit der Ausstellung.
Rainer Danne, Leiter der Städtischen Galerie Iserlohn
auf der Vernissage am 19.6.2009